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Franz Krojer Die Präzision 492 Seiten |
Bemerkungen zu einer Buchbesprechung |
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Am 19.7.2003 wurde mein Buch „Die Präzision der Präzession – Illigs mittelalterliche Phantomzeit aus astronomischer Sicht“ im Feuilleton-Teil der Süddeutschen Zeitung von Ulrich Kühne besprochen: „Einstürzendes Himmelszelt – Phantomzeitloser: Für Franz Krojer steht das Mittelalter in den Sternen“. Diese Besprechung war einige Tage danach auch auf den Online-Seiten der SZ nachzulesen, wurde dann aber wieder entfernt, so dass der Link von meiner Website („www.negation.info/differenz“, „Rezensionen“) zur SZ „tot“ war. Ich nehme dies zum Anlass einer Besprechung der Besprechung, um vor allem einige Dinge richtig zu stellen. Liest man Kühnes Besprechung, entsteht der Eindruck, Illig sei bereits nach 50 Seiten meines Buches so widerlegt, dass „jeder aufgeklärte Skeptiker überzeugt sein und Illigs Theorie als eine sehr reizvolle, aber leider nicht haltbare These zu den Akten legen“ wird - wozu also noch weitere 450 Seiten lesen müssen? Angekommen auf Seite 200, hat sich Kühne gefragt, ob er überhaupt noch weiter lesen soll: „Es geht um Simeon von Durham, der im 12. Jahrhundert eine Geschichte Englands geschrieben hat ... Simeon beschreibt unter dem Datum 7. November 756 die Beobachtung einer Mondfinsternis mit gleichzeitiger Bedeckung des Jupiters. ... Der Leser wundert sich derweilen, ob astronomische Ereignisse nach dem Jahr 614 überhaupt verschieden sein sollten. Schließlich bleibt ihr zeitlicher Abstand zu heute mit oder ohne Umdatierung gleich, und erst vor dem Jahr 614 fehlen Illigs 297 Phantomjahre.“ Mir scheint, Kühne hat auch wirklich dort zu lesen aufgehört, denn außer einem kurzen Fazit ist seine Rezension damit beendet. Zwar ist es richtig, dass die Antike nach Illig um ca. 300 Jahre uns „näher“ rücken würde, und in meinem Buch wird dieses Argumentationsmuster auch reichlich benützt. Aber auch die Jahre zwischen 614 und 911 n. Chr. sind von besonderem Interesse, denn das sind genau die Illigschen „Phantomjahre“, wo nach ihm gar keine authentischen Überlieferungen vorhanden sein dürften. Und selbst die Jahre nach der „Phantomzeit“ müssen sachbedingt besonders betrachtet werden, da nach Illig erst im hohen Mittelalter das frühe gefälscht und „erzeugt“ worden sei, auch astronomisch. Hätte Kühne z.B. den Aufsatz von Thomas Schmidt „Zur Datengrundlage moderner Ephemeriden“ ab Seite 353 gelesen, |
dann müsste er eigentlich einsehen, dass sogar die Gegenwart analysiert werden muss, um die Phantomzeit-These Illigs nicht nur oberflächlich zu überprüfen. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden nämlich die astronomischen Algorithmen zur Berechnung alter astronomischer Positionen mittels antiker Überlieferungen kalibriert, wobei der traditionelle, nicht-phantomzeitliche chronologische Rahmen implizit vorausgesetzt wurde und weshalb sich solche astronomischen Algorithmen nur sehr bedingt zur Untersuchung von Problemen, die die herkömmliche Chronologie generell in Frage stellen, eignen würden. Es geht in meinem Buch, wie ich auch im Vorwort hervorhebe, eben nicht nur um eine schnelle Widerlegung Illigs, sondern um eine umfassendere chronologische Hinterfragung der letzten 2 bis 3 Jahrtausende, für die „Illig“ nur ein willkommener Anlass ist. An vielen Stellen zeige ich, dass es gerade nicht ausreicht, Illig nur zu widerlegen, denn darüber hinaus findet man auch heute noch eine Vielzahl chronologischer Unstimmigkeiten und allerlei „Verformungen“ historischer Überlieferungen, die sowohl einzeln als auch verallgemeinert erkannt werden sollten, sofern man überhaupt ein historisches Interesse hat. Typisch für die, ich möchte sagen, „oberflächlich-skeptische“ Haltung Kühnes finde ich diese Stelle: „Aber ob etwa Pompeji vor 1924 Jahren vom Vesuv verschüttet wurde oder vor 1627 Jahren, sollte sich mit rein physikalischen Messmethoden feststellen lassen, ohne über die Ausübung der hermeneutischen Kunst an den spärlichen Urkunden und Artefakten des Frühmittelalters streiten zu müssen.“ Bei „physikalischen Messmethoden“ wäre vor allem an die C14-Methode bzw. Radiokarbon-Datierung zu denken. Dazu hat mir Mike Baillie im März 2002 geschrieben: “the radiocarbon dates which Oxford get for Pompeii samples are not calibrated. Typical raw radiocarbon dates (as published and not calibrated) are
The mean of these approximates to 1975 BP (which incidentally calibrates to the later first century AD).” |
Diese Werte sprechen natürlich gegen die Illigsche Phantomzeit-These,
aber ich habe sie dennoch nicht in meinem Buch verwendet, denn: 3. Als in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts die C14-Methode eingeführt wurde, ging man von einer konstanten Produktionsrate von C14 in der Atmosphäre aus und machte zu einfache Annahmen, so dass später viele „ganz exakt“ mittels der Radiokarbon-Methode datierte Proben wieder umdatiert werden mussten. Mittlerweile weiß man, dass die C14-Konzentration zeitlich stark schwankt und, wie neuere Untersuchungen nahelegen, sogar regional. Radiokarbon-Daten müssen deswegen „kalibriert“ werden, wozu mittels der Dendrochronologie datierte Baum-Jahrringe hergenommen werden. Da die Radiokarbon-Methode somit von der Dendrochronologie abhängt und diese wiederum mit ziemlich eindeutig zählbaren, diskreten Elementen (Jahrringe) arbeitet (wodurch Jahre günstigenfalls sogar ohne Fehlerintervalle ermittelbar sind), habe ich mich in meinem Buch auf die Dendrochronologie konzentriert („Nur ein Blick auf nie lügende Bäume“, Seite 439) und kam damit zu Schlüssen, die ziemlich eindeutig gegen die Illigsche Phantomzeit-These sprechen. Aber gerade bei der Dendrochronologie zeigte sich erneut, dass eine „rein physikalische“ bzw. naturwissenschaftliche Messmethode ohne „hermeneutische Kunst“, d.h. ohne eine historische Bewertung der Überlieferungen nur zu Scheinresultaten führen würde.
München, 22.8.2003 |
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